Wir saßen einfach schweigend da und scrollten herum
Das iPhone ist heute derart präsent, dass es uns nicht so vorkommt, als sei die erste iPhone-Generation erst im Sommer 2007 auf den Markt gekommen, also vor elf Jahren. Es wäre damals schwer vorstellbar gewesen, dass das iPhone oder Smartphones im Allgemeinen so schnell in so vielen Bereichen des täglichen Lebens fast unverzichtbar werden könnten. Ich habe hier zum Beispiel einen Brief von meiner Bank, in dem sie mir mitteilt, dass ihre Mobile Banking App bald der einzige „kostenfreie“ Weg sein wird, um eine TAN-Nummer, also ein jeweils einmaliges Passwort für meine Bankgeschäfte, zu bekommen. Das heißt, dass eine Bank nach etwas mehr als zehn Jahren davon ausgehen kann, dass ihre Kunden alle über Smartphones verfügen, genauso wie es für sie selbstverständlich ist, dass sie alle Postanschriften haben.
Ich glaube nicht, dass sich viele Menschen über die Folgen der Smartphone-Nutzung Gedanken machten, als sie, sagen wir im Jahr 2007, ihr erstes iPhone kauften. Ich war damals siebzehn und habe mir darüber mit Sicherheit keine Gedanken gemacht. Da ich das iPhone weiterhin für meine gewohnten Funktionen nutzte, nämlich zum Telefonieren und Nachrichten versenden, bestand seine Anziehung für mich damals vermutlich schlichtweg darin, dass es trendy war – obwohl ich mich daran erinnere, dass mir auch das Objekt an sich Freude machte (schließlich war es ein neues Design). Ich kann mich aber nicht erinnern, dass es für das Internet sehr nützlich war. Vielleicht waren Mobilfunk-Datennetze damals noch zu langsam, um sie nutzen zu wollen, vielleicht gab es auch zu wenige Websites mit anständigen mobilen Versionen. Oder vielleicht hatte ich zu dieser Zeit einfach nicht viel im Internet zu tun, weil ich an keinem der sozialen Netzwerke interessiert war. Auf jeden Fall würde ich sagen, dass mir das iPhone der ersten Generation über den Komfort eines MP3-Players hinaus keine neuen Funktionen brachte und auch die Art und Weise meiner Technologienutzung nicht wesentlich veränderte.
Nur elf Jahre später, sieht das heute im Jahr 2018 ganz anders aus. Die Hauptfunktion des Smartphones ist keineswegs das Versenden von Nachrichten (und noch weniger die Telefonie, die zu einer Art Krisenmaßnahme geworden zu sein scheint, zu der man nur im Notfall greift). Selbst alltägliche Aufgaben, die nichts mit Kommunikation zu tun haben, scheinen heute ohne die Hilfe eines Smartphones praktisch unmöglich: Morgens pünktlich aufwachen, Nachrichten lesen, Geld überweisen, im Urlaub fotografieren, beim Kochen die Uhr stellen, ein anständiges Restaurant finden, den Weg zu diesem Restaurant finden.... Während Smartphones langsam in all unseren Lebensbereichen vorausgesetzt wurden, fragte man sich selten, ob ihre aus der Bequemlichkeit entstandene Unverzichtbarkeit nicht auch eine Abhängigkeit von einer anderen Eigenschaft der Smartphones schafft: nämlich der Ablenkung, die sie bieten. Denn Smartphones sind ja nicht nur praktische Werkzeuge, sondern auch ein Anreiz zur Zeitverschwendung.
Zumindest waren sie das für mich. Im Laufe der Jahre wurde die Benutzung meines Smartphones fast zum Zwang. Ich ertappte mich dabei, dass ich in jedem freien oder ungenutzten Moment ständig die gleichen fünf oder sechs Webseiten checkte (meist Nachrichtenseiten). Das war auf jeden Fall so, wenn ich unterwegs war und darauf wartete, irgendwohin zu kommen: in der U-Bahn, im Auto, auf der Rolltreppe usw.. Aber auch in Gesellschaft und unter Freunden wurde es immer schwerer, dem zu widerstehen. Wenn wir in einem Restaurant waren und es im Gespräch mal eine Pause gab, musste ich mich bewusst bemühen, mein Telefon nicht aus der Tasche zu ziehen (so sehr es mich auch ärgerte, wenn die anderen genau das taten). Es konnte dann auch durchaus der Moment kommen, in dem wir alle unsere Telefone herausgeholt hatten und einfach nur schweigend da am Tisch saßen und herumscrollten. Zumindest bei mir war das dann auch alles, was dabei herauskam: es war ein zielloses Herumscrollen. Es war nicht so, dass ich jeden Artikel gewissenhaft durchlas und wirklich versuchte, auf dem Laufenden zu bleiben; normalerweise habe ich nur die (heutzutage zugegebenermaßen schrecklich faszinierenden) Schlagzeilen gelesen. Es war wie zu einer Übung geworden, einfach durch die Website zu scrollen, auch wenn ich das schon eine Stunde vorher getan hatte und wusste, dass ich nichts Neues oder Interessantes finden würde. Und nachts, wenn ich hätte schlafen sollen, wurde dieses Webseiten-Checken und ziellose Scrollen wirklich zwanghaft. (Ich sage „Webseiten-Checken“, als wäre es immer die New York Times gewesen; YouTube-Videos erwähne ich gar nicht....) Ich möchte echt nicht wissen, wie viele Stunden Schlaf ich im Laufe der Jahre mit meinem Telefon verspielt habe.
Also habe ich beschlossen, mein Smartphone loszuwerden. Was wahrscheinlich erst möglich oder jedenfalls viel einfacher wurde, weil es ein „Nicht-Smartphone“ gab, das nicht peinlich ist. (Während mir als Teenager das iPhone als Objekt Freude machte, würde ich heute sagen, dass das MP01 eine erwachsenere Ästhetik hat: die Einfachheit, es liegt angenehm in der Hand....) Viele Leute scheinen das MP01 ja als gelegentliche Alternative zu ihrem Smartphone zu benutzen, für eine Auszeit am Wochenende und so etwas. Ich hingegen habe mich entschieden, es als mein einziges Telefon zu nutzen. Dabei musste ich erkennen, wie sehr ich von meinem Smartphone abhängig gewesen war, um jeden freien Moment zu füllen: Zuerst fühlt es sich wirklich seltsam an, in einem Aufzug zu stehen und nichts zu tun. Aber schon nach wenigen Wochen ist mir kaum noch aufgefallen, dass ich kein Smartphone hatte. Von der Welt um mich herum bekam ich hingegen sehr viel mehr mit. Ich merkte, dass ich in der Zeit, die ich unterwegs mit meinem Smartphone verbracht hatte – um nicht zu sagen, die ich damit verplempert hatte –, ganze Bücher zu Ende lesen konnte. Und obwohl es manchmal etwas nervig ist, Google Maps nicht in der Tasche zu haben, habe ich ansonsten nicht das Gefühl, etwas verloren zu haben, weil ich kein Smartphone habe – zumindest nichts, worüber ich nicht glücklich war, es endlich aufgegeben zu haben.