Und so lasse ich mich von einem analogen Wecker wecken
„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.“
Vor Kurzem habe ich die Geschichte von “Momo”, geschrieben von Michael Ende, wiederentdeckt und bin erstaunt, wie passend seine Botschaft heute im digitalen Zeitalter ist: Die rauchenden grauen Herren, die einem Effizienz versprechen – und letztendlich hat niemand mehr Zeit und alle rennen einem leeren Versprechen nach.
Ein Jahr lebte ich ganz ohne Smartphone, heute habe ich wieder eins. Aber ein paar Aufmerksamkeiten konnte ich mir aus der analogen Zeit retten. Wie zum Beispiel der handyfreie Bereich meines Bettes. Und so lasse ich mich von einem analogen Wecker wecken. Nicht um 5 Uhr morgens (wie noch im Spätsommer, als ich Lust hatte diesen Rhythmus auszuprobieren), sondern zu einer Zeit, die mir erlaubt, langsam und mit Ruhe in den Tag zu starten, so dass ich Zeit für einen Tee habe und ungestört schreiben kann, ohne gleich von der Außenwelt überschüttet zu werden.
Statt frühmorgens aufzustehen, schätze ich die zusätzlichen Stunden Schlaf im Winter, ähnlich wie Tiere und Pflanzen, die in den Winterschlaf gehen. Es ist eine Zeit des Rückzugs und der Erholung, die ich mir selbst gönne. Obwohl ich meine Pflichten nicht ignorieren kann, habe ich meinen Kalender so angepasst, dass ich morgens ungestört bin. Ein Wecker am Bett ist ein Weg, dies zu tun und eine räumliche Distanz zum Smartphone zu wahren.
Jetzt, wo ich diese Praxis im Winter angenommen habe, erlebe ich meine Morgen ganz anders. Mein neuer Tagesrhythmus bedeutet, früher ins Bett zu gehen, damit ich mich am nächsten Tag ausgeruht fühle. Der analoge Wecker, der mich weckt, schafft eine ruhige Atmosphäre, in der ich meine Gedanken sammeln kann, bevor ich den Tag beginne.
Ich setze mich auf meinen Lieblingsplatz und nutze die ruhigen Stunden, um zu schreiben und meine Gedanken zu ordnen. Dieses Morgenritual gibt mir die Möglichkeit, in den Tag zu starten, ohne von der Außenwelt beeinflusst zu werden.Diese Zeit für mich ist eine wertvolle Ressource in einer Welt, die ständig in Bewegung ist und in der die Zeit oft knapp ist.
Ich glaube, dass es wichtig ist, einen persönlichen Rhythmus zu finden, der zu einem passt und das Wohlbefinden fördert. Für mich ist es nun das spätere Aufstehen und die ruhige Morgenstunde, die mir hilft, den Tag gelassen zu beginnen. Für andere mag es ein anderer Zeitpunkt sein, der ihnen ermöglicht, in ihrem Alltag einen Moment für sich zu finden.
Was mir geholfen hat, meinen neuen Morgenrhythmus zu etablieren, war die bewusste Entscheidung, mich von der Hektik der digitalen Welt abzugrenzen. Der Wecker am Bett ist ein Symbol dafür, dass ich den Tag auf meine Art und Weise beginne, ohne sofort von Nachrichten, E-Mails oder sozialen Medien überwältigt zu werden. Es ist ein kleines Ritual, das mir hilft, meinen Tag bewusst und mit Intention zu beginnen.
Der Wechsel zu diesem neuen Rhythmus war anfangs eine Anpassung, aber es hat sich gelohnt. Ich fühle mich ausgeglichener und mehr im Einklang mit meinem natürlichen Rhythmus, besonders in den Wintermonaten, wenn die Tage kürzer und die Nächte länger sind.
„Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: 'Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.'“ (Beppo der Straßenfeger aus Momo)
Ich denke, diese Worte aus „Momo“ spiegeln meine aktuelle Lebensphilosophie wider: sich auf den Moment zu konzentrieren und die kleinen Schritte zu schätzen, die uns durch den Tag führen. Es geht nicht darum, immer mehr aus dem Tag herauszuholen, sondern darum, den Tag bewusst zu erleben und zu genießen.
„Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit.“
Mit diesem Zitat von Michael Ende möchte ich daran erinnern, dass das Leben voller Möglichkeiten ist. Wir können unsere eigenen Wege gehen und unsere Tage so gestalten, dass sie uns Freude und Erfüllung bringen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir die Wahl haben, wie wir unsere Zeit nutzen und wie wir unseren Alltag gestalten. Und wenn auch nur mit kleinen Entscheidungen wie wir uns wecken lassen. In einer Welt, die oft von Schnelligkeit und Effizienz bestimmt wird, ist es ein wertvoller Akt, sich bewusst für einen langsameren, bedachten Weg zu entscheiden.
Clara Hahn lebt mit ihrer 4-jährigen Tochter in Berlin. Im ersten Corona-Lockdown gründete sie Fired Up Space, eine Plattform für die berufliche Veränderung. Mit einer Gruppe von 30 Coach:innen bietet sie kostenloses Coaching für Menschen, die in Deutschland als arbeitssuchend gemeldet sind. Ihre Mission ist die Entstigmatisierung beruflicher Krisen und die Förderung einer Gesellschaft, in der Menschen nicht ausschließlich mit dem identifiziert werden, was sie tun, sondern eher mit der Person, als die sie sich empfinden. Daneben gehörte Clara zum Gründungsteam von Checkin, einem Startup der Macher:innen von Meetup. Durch das Arbeiten aus der Ferne wurde ihr bewusst, wie wichtig analoge Momente in unserer schnelllebigen Welt sind.