Gekonnt verlaufen
Manchmal ist es gut, sich freien Lauf zu lassen, sich zu verlaufen. Jazzmusiker wissen das ebenso wie interessante Maler und Autoren. Das funktioniert natürlich nur, wenn sie genau wissen, wie sie den Weg zurück nach Hause finden. Genau dieser Entdeckungsprozess macht die Kunst zur Kunst.
Dasselbe Prinzip lässt sich auf die Kunst des Lebens anwenden. Jedoch nicht jederzeit. Wie beim Neubesaiten einer Gitarre oder Reinigen einer Farbpalette müssen manche Dinge einfach effizient erledigt werden. Die reine Effizienz ist jedoch nur ein anderes Wort für Arbeit. Einen Spaziergang zu machen, zuzulassen, dass man sich verläuft und dann den Weg nach Hause zu finden, kann – je nachdem, wie man dieses Spiel anlegt – ein sicherer Weg zur Entspannung, zum Abenteuer oder gar beides sein. Auch für unseren Geist ist das sehr gesund: Kartenlesen, räumliche Wahrnehmung, Bemerken und Beachten der eigenen Umgebung, Widerstand gegen ein unausgesprochenes Tabu des 21. Jahrhunderts, wenn man mit Fremden in der physischen Welt interagiert usw. Außerdem gibt es so viele interessante Orte und Dinge, von denen man nie erfahren hätte, wenn man dem Weg von A nach B gefolgt, bei den Algorithmen geblieben wäre.
Daher finden wir es eine ganz gute Idee, wenn man sich öfter mal verläuft.
Und wie verläuft man sich am besten? Nun, der erste Schritt ist natürlich, das Smartphone wegzulegen (wir gehen mal davon aus, dass Sie noch in diesem Team spielen). Besorgen Sie sich stattdessen eine physische Landkarte (viel effektiver als ein winziger Bildschirm). Verlaufen Sie sich in einer Stadt, gibt es manchmal Stadtpläne an Bushaltestellen, Bahnhöfen usw. Oder Sie nehmen ein Tablet mit, auf dem Sie nur gelegentlich auf der Karte nachschauen. Ein Picknick ist immer gut. Ein Picknick vorzubereiten, ohne zu wissen, wo es dann stattfinden wird, hat bereits etwas Transformatives. Wir werden jetzt nicht vorschlagen, das Telefon ganz zu Hause zu lassen, wegen der Notfälle. Also: Vielleicht gar kein Telefon?
Und: Verlaufen Sie sich mit Aplomb. Damit meinen wir nicht nur Selbstvertrauen und Sicherheit, obwohl man sich verlaufen hat, sondern auch die wörtliche bzw. wortwörtliche Bedeutung des Begriffs. „Aplomb“ kommt vom französischen „à plomb“ und bezieht sich auf das Lotblei, das zur Bestimmung der Senkrechten verwendet wird, um etwas ins Lot zu bringen. Für einen ausgebildeten Tänzer bedeutet Aplomb die perfekt aufrechte Körperhaltung und standfeste Balance. Unsere Körperhaltung signalisiert nicht nur, sondern bewirkt auch, dass wir uns sicher, entspannt und gut fühlen. Genießen Sie es also, nicht zu wissen, wo Sie sind – und lassen Sie zu, dass nach all der Bildschirmzeit auch ihr Rundrücken verloren geht. Viel Spaß dabei!