Körperloses Geld: Teil 2
Die spektakuläre, weltweite Abkehr vom Bargeld im Zahlungsverkehr, die durch die Pandemie noch beschleunigt wurde, ist wieder ein Beispiel für einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel, der kaum analysiert oder diskutiert wird. Es war keine bewusste, demokratische Entscheidung, die nach eingehender Debatte getroffen wurde, sondern „passiert einfach“. Diejenigen, die den Trend unterstützen, glauben, dass unser Leben dadurch besser wird – oder werden wir die kurzfristigen Annehmlichkeiten vielmehr mit weitreichenden, unbeabsichtigten Folgen bezahlen?
Der Übergang von physischen Zahlungsmitteln zu Vermögenswerten, die durch elektrische Ladungen auf Siliziumstücken, die über die gesamte Welt verteilt sind, aufgezeichnet werden, ist nur ein Beispiel für unsere unaufhaltsame Abkehr von der Körperlichkeit.
Wenn man sie isoliert betrachtet, sind diese Veränderungen aufgrund ihrer (scheinbaren) Bequemlichkeit leichter zu akzeptieren. Es ist aber wichtig zu erkennen, wie sie zusammenspielen und eben nicht dazu beitragen, dass es uns insgesamt besser geht. Hier müssen wir der Versuchung widerstehen, dies einfach mit „Hmm… interessanter Gedanke“ zu kommentieren, um danach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wenn wir uns eine faktenbasierte Meinung zu dem Einfluss bilden wollen, den die Technologie auf unsere Spezies und auf uns selbst als einzelne Individuen hat, müssen wir die „einzelnen Punkte zusammenfügen“ und die sich daraus abzeichnende Linie als Ganzes betrachten.
Zurück also zum Geld: Elektronische Zahlvorgänge sind in der Regel schneller, als wenn dies per Bargeld geschieht (es sei denn, es gibt ein technisches Problem). Auch Fast Food ist für seine Schnelligkeit bekannt. Geschwindigkeit ist aber nicht alles. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise die Entstehung der „Slow Food“-Bewegung erlebt.
Wenn man in einem Geschäft mit Bargeld bezahlt, dauert dies etwas länger. Wenn das die meisten tun, können sich daraus etwas längere Schlangen ergeben. Also auch mehr Zeit, die wir zusammen mit anderen Menschen verbringen. So wie sich an einer Wasserstelle in Afrika die unterschiedlichsten Spezies sammeln, kommen in Lebensmittelgeschäften, bei der Post, im Café usw. alle sozialen Gruppen und Generationen zusammen. Das Warten in der Schlange ist (bzw. war) dabei keine verlorene Zeit. Es ist (bzw. war) vielmehr eine gute Gelegenheit, um Neuigkeiten mit dem Freund oder der Freundin auszutauschen, um auch mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen – oder um zumindest die Existenz anderer Menschen jenseits des Ich oder eigenen sozialen Umfelds zur Kenntnis zu nehmen.
Dazu kommt beim Bezahlen die Interaktion mit dem Menschen hinter der Kasse. Ohne Bargeld lässt sich diese Person ignorieren – und das geschieht auch immer häufiger. Man hält die Karte, das Telefon oder das am Handgelenk getragene Endgerät an das Bezahlterminal und geht. Kontaktlos, in mehr als einer Hinsicht. Neben den postsozialen Aspekten bringt elektronisches Bezahlen mit sich, dass wir unsere motorischen Fähigkeiten beim Heraussuchen der richtigen Scheine und Münzen nicht mehr trainieren müssen (der durchschnittliche IQ nimmt dabei ebenso ab wie unsere Geschicklichkeit – außer beim Umgang mit Computern). Dasselbe gilt für das Kassierpersonal bei der Herausgabe von Wechselgeld (in der Regel muss heute ja sowieso niemand mehr etwas im Kopf zusammenrechnen). Kassiererinnen und Kassierer müssen nicht mehr auf Fälschungen, ausländische Münzen usw. achten, Kundinnen und Kunden müssen ihr Wechselgeld nicht mehr auf Richtigkeit überprüfen. Kurz gesagt: Es besteht keine Notwendigkeit, in irgendeiner sinnvollen Weise da zu sein. Keine Notwendigkeit, aus der vom Algorithmus bestimmten Existenz, die ein nettes Display bietet, aufzuschauen.
Lesen Sie Teil 1 hier.